Leidenschaftliche Debatte über Europa und politischen Extremismus

22. MRZ 2017 08:00 - 09:00

Die „Vereinigten Staaten von Europa“ werden kommen, zumindest wenn es nach dem Publikum des Jugendforums am Gymnasium Nieder-Olm geht.

Fast 80 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 9 bis 13 wohnten der ersten politischen Debatte dieser Art am Gymnasium Nieder-Olm bei und durften im Anschluss ihre eigene Meinung zur Diskussion und zu den besprochenen Themen äußern.

Am Donnerstag, den 2. März 2017, war es soweit – gegen 19 Uhr füllten sich die bestuhlten Reihen im Foyer des Gebäudes A und die Veranstalter, Herr Koether für die Fachschaft Sozialkunde, die Schülersprecherin Mandana Paydar für die SV und Julius Kessel, der Initiator des Debattenformats, eröffneten das erste Jugendforum (JUFO) am Gymnasium Nieder-Olm.

Eingeladen waren neben den Schülern und Schülerinnen Jungpolitiker der Jugendorganisationen der Parteien SPD, CDU, FDP, Bündnis90/Die Grünen, Die Linke und der AfD. Sie waren die Hauptdarsteller an diesem Abend und durften sich auf dem Podium ein Streitgespräch zu den Themen „Europa“ und „Extremismus“ liefern. Das besondere an der Veran- staltungsreihe, die bereits in Hessen und Rheinland-Pfalz an verschiedenen Schulen gastierte und mehrere Preise für politisches Engagement gewonnen hat, ist, dass sie ausschließlich von Schülern und Studenten organisiert wird und die politischen Debatten im US-amerikanischen Stil gehalten werden. Das bedeutet, dass neben der Diskussion auch die Show nicht zu kurz kommt. Davon konnten sich die Zuschauer schon gleich zu Beginn der Veranstaltung überzeugen, als kurze Einspieler und mit Musik unterlegte Videosequenzen die Themen und die Diskutanten vorstellten.

Die teilweise kontrovers und lautstark geführte Diskussion durfte Eric Schleich von der „Jungen Union“ (JU) eröffnen, ein ehemaliger Schüler des Gymno. Er sprach sich für mehr europäische Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen aus, wie z.B. der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, lehnte aber die Vision eines „europäischen Superstaates“ ab.

Dem konnte sich der Vertreter der „Jungen Alternative“ (JA), Alexander Jungbluth, der ansonsten in der Diskussionsrunde und im Publikum an diesem Abend einen schweren Stand hatte, anschließen. Seiner Meinung nach habe der „Brexit“ klar gezeigt, dass sich das Projekt „Europa“ in einer tiefen Krise befinde. Die „Regulierungswut“ auf europäischer Ebene, die immer größer werdenden Meinungs- verschiedenheiten zwischen den Mitgliedsländern und die zunehmende Entfremdung zu den Partnern USA und Russland mache deutlich, dass sich die EU nicht weiter integrieren, sondern besser Kompetenzen an die Nationalstaaten zurückgeben solle.

Dem widersprach Daniel Baldy von den „Jungsozialisten“ (Jusos) ganz entschieden. Er forderte gerade in unsicheren außenpolitischen Zeiten wie diesen ein Mehr an Integration – nur gemeinsam könnten die euro- päischen Staaten globale Herausforderungen wie dem internationalen Terrorismus, dem Klimawandel oder der Migration begegnen.

Matthias Keidel von den „Jungen Liberalen“ (Julis) griff den letztgenannten Punkt auf und kritisierte, dass rechtspopulistische und nationalistische Regierungen insbesondere in Osteuropa eine gemeinsame, gerechte Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU blockierten. Diese Blockadepolitik einzelner nationaler Regierungen schade dem Ansehen der EU insgesamt und lasse sie in den Augen vieler Bürger als „handlungsunfähig“ erscheinen. Dass dies aber nicht der Fall sei, zeigten die Erfolge der EU in anderen Politikfeldern, die wiederum gerne von den nationalen Regierungen für sich reklamiert würden.

Für mehr Ehrlichkeit im Umgang mit der Europäischen Union sprach sich auch der Kandidat der „Grünen Jugend“ (GJ), Fabian Ehmann, aus. Er stellte die Errungenschaften der EU in den letzten Jahrzehnten heraus und betonte, dass „Europa mehr als ein gemeinsamer Markt“ sei, es stehe für „Frieden und gemeinsame Werte“. Diese würden aber durch intransparente Verhandlungen und Beschlüsse in Hinterzimmern kompromittiert, wie beim Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) mit den USA geschehen. Ehmann forderte deshalb mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung auf europäischer Ebene.

Dem konnte Alexander Reidel vom Debattierclub der Universität Mainz, der kurzfristig für den verhinderten Kandidaten der Linken eingesprungen war, nur zustimmen. Trotz Demokratie- defizits (einzig das Europäische Parlament wird direkt von den Bürgern gewählt) und der seit dem Brexit allgegenwärtigen Krisenrhetorik, sei die Europäische Union eine „Erfolgsgeschichte“, die man jetzt nicht mutwillig kaputtreden dürfe. Die „Vereinigten Staaten von Europa“ seien zwar noch in weiter Ferne, aber wenn Europa nicht gänzlich an Einfluss und politischen Gestaltungsoptionen einbüßen wolle, führe daran kein Weg vorbei.

Nach einer kurzen Pause, in der sich die Diskutanten und das Publikum mit kostenlosen Getränken für die zweite Runde stärken konnte, ging es weiter mit dem Thema „Extremismus“. Auch hier zeigten sich die unterschiedlichen Ansichten der Jungpolitiker deutlich, angefangen bei der Frage, ob den nun die Gefahren durch Rechtsextremismus oder Linksextremismus höher einzuschätzen seien, wie verbreitet Ausländerfeindlichkeit in Deutschland sei und wie man gegen Extremismus jedweder Couleur vorgehen sollte. Einigen konnte man sich lediglich auf den Ausgangspunkt für Extremismus, nämlich das persönliche Gefühl der Zurücksetzung und der fehlenden Akzeptanz.

Durch mehr präventive Arbeit in Schulen und Jugend-einrichtungen, so Fabian Ehmann von der GJ, müsse insbesondere die Radikalisierung junger Menschen verhindert werden. Diese seien aufgrund ihrer noch nicht abgeschlossenen Persönlichkeitsentwicklung für extreme politische Botschaften besonders zugänglich. Daniel Baldy von den Jusos und Matthias Keidel von den Julis warfen insbesondere der AfD vor, die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland zu schüren und durch ihre Kampagnen und die Aussagen führender Mitglieder, wie dem thüringischen Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke, den „Nährboden für rechte Gewalt“ zu bereiten. Dies wollte Alexander Jungbluth von der JA natürlich so nicht stehen lassen, aber seine Rechtfertigungsversuche verfingen weder bei seinen Mitdiskutanten in der Runde noch beim Publikum.

Wie die abschließenden kritischen Fragen aus dem Publikum und eine Onlineumfrage per Handy-Voting zeigten (76% der abstimmenden Schülerinnen und Schüler sprachen sich für ein NPD-Verbot aus), hatten radikale Parolen an diesem Abend keine Chance. Die Chancen, eine weitere JUFO-Debatte am Gymnasium Nieder-Olm zu veranstalten, stehen dagegen sehr gut – sowohl die Fachschaft Sozialkunde als auch die Schülervertretung und JUFO-Gründer und Moderator Julius Kessel waren mit dem Ablauf der Veranstaltung und der Zuschauerresonanz sehr zufrieden und können sich ein Neuauflage im nächsten Jahr gut vorstellen.

Text: Mathias Brug

Fotos: Mathias Brug

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